Marienandachten

VIA MATRIS und SIEBEN-SCHMERZEN-ROSENKRANZ

 

Der hl. Bonfilius betrachtet betend den zweiten Schmerz Mariens (Kloster Maria Waldrast)
Nachdem sich die heilsgeschichtliche Bedeutung Mariens im Bewusstsein der Kirche gefestigt hatte, ist es zum allgemeinen Anliegen der Christen geworden, Maria nicht nur durch die liturgischen Feiern, sondern auch durch verschiedene Andachtsübungen zu ehren. So entwickelten sich neben den Marienfesten auch marianische Gebete, Lieder, Hymnen und Andachtsformen. Das älteste uns bekannte Mariengebet „Unter deinen Schutz und Schirm, fliehen wir, o heilige Gottesmutter...“ ist ab dem 3. Jahrhundert im Gebrauch. Ein wesentliches Verdienst an der Entwicklung und Verbreitung von Marienandachten haben die Ordensleute. Sie entwickelten diese Andachten nicht so sehr um der Frömmigkeit willen, sondern weil sie bemüht waren, das Evangelium und die christlichen Glaubensinhalte unter das einfache Volk zu bringen. Dieses hatte keinen anderen Zugang zur allgemeinen und religiösen Ausbildung.

Auf diesem Hintergrund formte sich beispielsweise auch die Rosenkranzandacht, und zwar nicht zufällig beim Predigerorden des hl. Dominikus, dessen Sehnsucht und Aufgabe es war, das Wort Gottes unter dem Volk zu verbreiten. Mit diesem Ansatz aus dem 12. Jahrhundert entwickelte sich der Rosenkranz weiter, denn er bewährte sich als geeignete Gebetsart, die das Evangelium in einer Kurzform wiedergibt, indem sie die Glaubensgeheimnisse den Menschen zur Betrachtung vor Augen führt.

Als sich anfangs des 17. Jahrhunderts die Verehrung der Schmerzensmutter intensiver zu verbreiten begann, bildeten sich unter besonderem Einfluss des Servitenordens zwei Marienandachten: die Via Matris, also der "Leidensweg Mariens", und der Siebenschmerzenrosenkranz. Diese beiden Andachten haben ein gemeinsames Thema, nämlich Maria, die am Lebensweg Jesu aktiv teilnimmt, wodurch sie selbst viele Leiden und Schmerzen erfährt. Nach dem biblischen Muster wird diese Vielzahl an Schmerzen mit der symbolischen Nummer „7“ ausgedrückt.

Die konkreten Schmerzen, die zur Betrachtung vorgelegt werden, sind den Evangelien entnommen bzw. sie lehnen sich an deren Berichte an. Der erste Schmerz Mariens bezieht sich auf die prophetischen Worte des Greisen Simeon im Tempel (Lk 2,22-35). Aus seinem Munde hört Maria, dass ein Schwert durch ihre Seele dringen wird, eben im Bezug auf ihren Sohn. Und dies beginnt sich bereits in dem zweiten Schmerz zu bewahrheiten: Josef, Maria und das Kind müssen nach Ägypten fliehen, weil Herodes das Kind töten will (Mt 2,13-15). Im dritten Schmerz Mariens werden sich viele Mütter und Väter wieder finden; er spricht vom Verlust des Buben Jesus in Jerusalem (Lk 2,41-49). Josef und Maria erleben angstvolle Momente auf der langen Suche nach ihrem verlorenen Sohn. Der vierte Schmerz Mariens führt uns in die Schlussphase des Lebens Jesu hinein und lässt uns eine traurige Begegnung betrachten. Auf seinem Kreuzweg wendet sich Jesus den weinenden Frauen zu, unter denen die christliche Tradition auch seine Mutter vermutet (Lk 23,26-28). Im fünften Schmerz wird Maria als hilflose Mutter gezeigt, die dem tragischen Tod ihres Sohnes am Kreuze stumm zusehen muss (Joh 19,25-27; Lk 23,44-46). Als Fortsetzung des fünften Schmerzes denken wir im sechsten Schmerz an Maria, die bei der Kreuzabnahme vermutet wird und den leblosen Leib Jesu zum letzten Mal berühren darf (Mk 15,42-46). Der siebte Schmerz Mariens verbindet sich mit dem Gedanken an die Mutter Jesu, die seinen toten Sohn zum Grabe begleitet (Joh 19,39-42). In dem Siebenschmerzenrosenkranz wird die Betrachtung jedes Schmerzes mit dem Vater unser eingeleitet, mit sieben Gegrüßet seist du, Maria begleitet und mit dem Ehre sei dem Vater... abgeschlossen. Nach dem siebten Schmerz betet man noch dreimal Gegrüßet seist du, Maria aus Dankbarkeit der Schmerzensmutter gegenüber, dass sie uns den Leidensweg glaubensstark vorausgegangen ist, und das Glaubensbekenntnis. In der Via Matris werden diese Schmerzen, ähnlich wie bei dem Kreuzweg Jesu, als Stationen betrachtet. Jede Station ist jeweils einem Schmerz gewidmet, der durch entsprechende Bibelstellen oder Meditationen näher gebracht und vertieft wird. Jede Betrachtung schließt mit Gegrüßet seist du, Maria und einer Bitte um den Beistand Mariens ab.

Man kann sich nun fragen, wo der Sinn dieser Andachten liegt. Es ist bekannt, dass der Mensch unserer Zeit eher andere Tatsachen zu betrachten bevorzugt als Leid, Schmerz oder den Tod; diese sind nämlich unattraktiv und man versucht sie zu vermeiden und zu verdrängen. Und dennoch bleiben sie ein untrennbarer Teil unseres Lebens. Jeder Mensch, ja jedes Geschöpf, leidet im Bezug auf sich selbst. Jedoch man erfährt sich oft als Leidende(r) auch im Bezug auf die anderen Menschen oder Geschöpfe. Durch dieses Mitleidgefühl bietet sich dem Menschen die Möglichkeit, sich selbst als liebesfähiges Wesen zu entdecken bzw. zu bestätigen. Und eine Andacht wie der Siebenschmerzenrosenkranz oder die Via Matris möchten in uns genau diese Gefühle wecken, damit wir unsere ureigene Berufung in dieser Welt nicht aus den Augen verlieren, nämlich die, liebende Wesen zu sein.

fr. Fero M. Bachorík OSM