Marienikonen

"Madonna del Bordone", Servitenkirche Siena

 

Die „Madonna del Bordone“ befindet sich in der Servitenbasilika San Clemente in der italienischen Stadt Siena. Es handelt sich um ein großes Tafelgemälde (225 x 125 cm), dessen Schöpfer der toskanische Maler Coppo di Marcovaldo ist.

Er lebte in einer Zeit, in der die Frage nach dem Träger der weltlichen Macht zu heftigen politischen Auseinandersetzungen führte. Neben dem Kaiser erhob nämlich auch der Papst seine Ansprüche auf die politische Macht. Und die Bevölkerung spielte mit, indem sie sich unabhängig von ihrer religiösen Orientierung für die kaiserliche oder für die päpstliche Politik ausgesprochen hat. So bildete sich die Allianz der Guelfen, die mit dem Papst sympathisierten, und das Lager der kaiserlichen Anhänger, der sogenannten Ghibellinen. Infolge dessen gab es auch in der Toskana befreundete und verfeindete Städte, die sich gegenseitig bekämpften. Aus diesem Grund zog auch Maler Coppo (Jakob), dessen Herkunftsstadt das guelfische Florenz war, in den Kampf gegen die Hauptgegnerstadt Siena. Die entscheidende Schlacht zwischen diesen Gegnern ereignete sich bei Montaperti am 4. September 1260 und brachte den Ghibellinen einen Sieg. Tausende der Besiegten endeten in sienesischer Gefangenschaft, unter ihnen auch Coppo di Marcovaldo. In dieser Zeit malte er für die Serviten in Siena die „Madonna del Bordone“, die er bereits 1261  vollenden konnte. Obwohl sich Siena politisch antipäpstlich orientierte, blieb die Stadt trotzdem christlich und war stark marianisch geprägt. Noch zwei Tage vor der Schlacht von Montaperti wurde Siena in der Kathedrale der Gottesmutter geweiht als Gegengabe für ihren Schutz während der bevorstehenden Schlacht. Darum erhielt später Coppo den Auftrag, ein Gottesmutterbild für eine sienesische Kirche zu malen, die noch dazu dem Servitenorden gehört, der sich durch die Marienverehrung besonders auszeichnet. Eine Überlieferung sagt, dass sich der Maler dadurch seine Freiheit wiedererkaufen sollte.

Die Ikone zeigt die Gottesmutter bekleidet im dunklen, reichlich mit Gold durchwebten Obergewand und im weißen Untergewand, wobei beide auch ihr Haupt bedecken. An ihren Füßen, die auf einem Kissen ruhen, trägt sie rote königliche Schuhe. Sie sitzt auf einem prunkvollen Thron mit einer lyrenförmigen Lehne und richtet ihren gütigen Blick auf den Ikonenbetrachter. Auf ihrem linken, mit einem weißen Tuch fast zur Gänze verhüllten Arm trägt sie das Jesuskind, dessen rechten Fuß sie mit ihrer Rechten abstützt. Das Jesuskind hält in seiner Linken eine Schriftrolle, wendet sein Gesicht hin zu seiner Mutter und erhebt seine segnende Rechte. Das Haupt der Mutter und des Kindes wurde jeweils von einer Aureole umkreist. Die Bekleidung Jesu besteht aus einem goldenen Untergewand und einem dunklen, mit Gold durchwirkten Obergewand. Auf dem goldstrahlenden Hintergrund links und rechts sind die Erzengel Michael und Gabriel dargestellt: der erste als Erinnerung an das verlorene Paradies (Gen 3,24), der zweite als der Verkünder des Messias (Lk 1,26-38). Die beiden deuten mit ihrer Hand auf Maria hin, durch deren Leibesfrucht sich die Schöpfung zu erneuern beginnt.

Diese Mariendarstellung entspricht dem byzantinischen Ikonentypus der Gottesmutter-Königin, die gleichzeitig als der „Sitz der Weisheit“ zu interpretieren ist, weil sie selbst zum Thron der göttlichen Weisheit wird, die sich in Jesus mit der Schriftrolle verkörpert.

Was bei dieser Marienikone zudem sehr interessant ist, ist ihre Benennung „Madonna del Bordone“ - die Gottesmutter vom „Bordone“. Unter den möglichen Deutungen dieser Bezeichnung bietet sich auch folgende an: Der italienische Begriff „bordone“ bezieht sich auf etwas Stützendes bzw. Tragendes. Konkret übersetzt heißt es Wanderstab. Einer alten Tradition zufolgen sollen im späten Mittelalter sienesische Pilger nach Rom oder ins Heilige Land bei ihrer Rückkehr zum Dank ihren Wanderstab vor diesem Bildnis niedergelegt haben. Eine weitere Deutung ergibt sich aus der Welt der Musik, wo „bordone“ die Bezeichnung für den bleibenden Basston der tiefsten Orgelpfeifen ist. Aus diesen beiden möglichen Deutungen ergibt sich folgender Sinn: Wie ein Pilger im Wanderstab eine Stütze beim Gehen findet und ein Verteidigungswerkzeug gegen die wilden Tiere und die Räuber hat, so sieht der fromme Christ in Maria eine Stütze auf dem Glaubensweg und eine Beschützerin vor allem Bösen.  Und wie der Basston der Orgel die ganze Melodie trägt, so trägt die Gottesmutter in ihrem Kind auch die Ereignisse der ganzen Menschheit mit. Diese Deutungsaspekte hatten ihre Aktualität für die Christen von Siena in der Mitte des 13. Jahrhunderts und haben sie immer noch auch für uns Christen des 21. Jahrhunderts.

Unter den vorhandenen Marienikonen, vor denen die Serviten die Gottesmutter verehren, ist „Madonna del Bordone“ die älteste. Deshalb dient sie unserem Orden auch als ein wichtiger Hinweis auf die ursprünglichen spirituellen Schwerpunkte, die für die Serviten der ersten Generation in der Marienverehrung vordergründig waren.

fr.Fero M. Bachorík OSM