Marienikonen

Maria mit Kind und Prophetem Balam

Fresko in der Priscilla-Katakombe

 

Eine der ältesten – vielleicht sogar die älteste – Abbildungen Mariens, die bis jetzt entdeckt wurden, befindet sich in der Priscilla-Katakombe in Rom. Es handelt sich um ein Gewölbefresko, an dem eine Muttergestalt mit einem Kind erkennbar ist. Links von ihr erkennt man eine stehende Männergestalt, deren Rechte auf einen achtstrahligen Stern hindeutet, der über dem Haupt der Mutter schwebt. In der Linken des Mannes sieht man eine Schriftrolle. Obwohl das Fresko teilweise beschädigt ist und seine Farben und Konturen zerschmolzen wirken, erkennt man deutlich ein kleines Kind, das im rechten Arm seiner Mutter liegend gerade gestillt wird. Ein Obstbaum lässt währenddessen seine Äste voller zahlreicher Früchte über den beiden hängen. Wieso glauben die Archäologen, dass es sich hier wirklich um die Gottesmutter handelt?

Einerseits ist es der Ort selbst, der uns in die ersten Jahrhunderte der Christenheit zurückführt und uns viele ihrer Glaubensinhalte anschaulich macht. Im eigentlichen Sinne sind Katakomben gemeinsame unterirdische Bestattungsstätten, deren sich ausschließlich christliche Gemeinden bedienten. Ihre Entstehungszeit geht in das Ende des 2. Jahrhunderts zurück. Selbst die Priscilla-Katakombe zählt zu den ältesten. Sie dürfte in den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts entstanden sein und somit auch die sich dort befindenden Fresken. Diese Fresken mit ihrer Symbolik sind sichtbare Zeugen des christlichen Glaubens jener Zeit. Christus, Eucharistie, guter Hirt, himmlische Hochzeitsmahl, Gebet, Auferstehung und nicht zuletzt die Gottesmutter selbst werden hier dargestellt als fester Bestandteil der christlichen Tradition. Die Anwesenheit solcher Fresken an einer Grabstätte überrascht nicht, denn der christliche Mensch sieht in diesen Darstellungen Zeichen des Heils. Und deshalb begegnet er auch dem Geheimnis des Todes im Lichte dieser Heilszeichen, welche in ihm die Hoffnung auf das ewige Leben wachhalten. In diesem Zusammenhang ist es leicht vorstellbar, dass die ersten Christen sich ebenso an die Mutter des Erlösers wandten, um auf ihre Fürsprache bei ihrem Sohn sowohl für sich als auch für ihre lieben Verstorbenen ewiges Heil zu erbitten.

Andererseits bietet uns das symbolreiche Fresko selbst solche Hinweise, die wir anhand der Bibel ziemlich genau entziffern können, um hier die Gottesmutter zu erkennen. Den ersten Hinweis bilden der Stern über der Mutter mit dem Kind und die deutende Rechte des Mannes. Diese Darstellung scheint ein prophetisches Wort als Fundament genommen zu haben. Ein solches findet man im Buch Numeri 24,17. Folgendes Wort wird dort dem Propheten Bileam, der das Kommen des Erlösers voraussah, in den Mund gelegt: “Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel.” Ebenfalls kann man hier den Propheten Jesaja vermuten, der das Kommen des Messias durch die Geburt aus einer Jungfrau angekündigt hatte: “Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel, Gott mit uns, geben” (Jes 7,14). Dieser Stern ist daher ein Symbol des von der Jungfrau Maria geborenen Erlösers, nämlich Jesus Christus. Das Matthäusevangelium macht es noch deutlicher durch die Aussage der Sterndeuter: “Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen” (Mt 2,2). Ein weiteres Element, das diese Symbolik ergänzt, ist der Obstbaum im Hintergrund mit seinen Früchten. Durch diese Früchte zeichnen sich der neue Himmel und die neue Erde aus: “Hüben und drüben stehen Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker” (Offb 22,2). Diese Früchte sind Früchte der Erlösung, des ewigen Lebens – ein Symbol des verlorenen Paradieses, das durch Jesus, die gebenedeite Leibesfrucht Mariens (vgl. Lk 1,42), wiedergewonnen wurde.

Was bei der Betrachtung dieses Freskos bemerkenswert ist, ist die spürbare und tiefe Verehrung der Gottesmutter, welche, verborgen in der Freskosymbolik, bereits längst vor ihrer offiziellen Einführung durch das Konzil von Ephesus im Jahre 431 n.Chr. intensiv genährt wurde.

fr.Fero M. Bachorík OSM