Maria in den Texten des Ordens

Marienverehrung in der "Legende des seligen Franz von Siena"

Der selige Franz überreicht der Gottesmutter eine Rose (Monte Senario)
Der selige Franz von Siena (1266-1328) gehört zu den ersten Generationen der Serviten, die durch besondere Tugenden ausgezeichnet wurden. Sein Freund und Vertrauter, Frater Christophorus von Parma, hat den wesentlichen Teil dieser Legende wahrscheinlich zw. 1330-1335 geschrieben. Ihre Ergänzung und Erweiterung erfolgten durch einen anderen Mitbruder von Siena, Frater Benedikt, genannt „Gerj“, der 1341 in das dortige Kloster eingetreten war. Die Hinweise auf diese Verfasser lassen sich direkt aus dem Text der Legende gewinnen.

Diese Legende weist auf eine intensive Verbundenheit hin zwischen dem seligen Franz und der heiligen Jungfrau. Sie beginnt bereits vor seiner Geburt, als die Mutter ihn noch im Schoße trug. Sie träumte eine Lilie geboren zu haben, welche wiederum weitere Lilien hervorbrachte. Aus diesen Lilien flocht die Mutter einen Kranz für die Königin der Jungfrauen. Im Traum erhielt sie gleichzeitig eine Zusage, dass ihr Kind ein jungfräuliches Leben führen werde. Gleich nach seiner Geburt wurde Franz der glorreichen Jungfrau geweiht und als junger Mann erwählte er sie sich zu seiner Mutter und Herrin. Täglich erwies er ihr vor ihrem Bild Gesten der Verehrung. Die Legende erwähnt, dass er mindestens fünfhundert Mal am Tag vor ihrem Bild niederkniete und das „Ave Maria" oder andere Marienlobgebete rezitierte. Dabei betete er inständig für die Bewahrung seiner Jungfräulichkeit. Nach dem Tod seiner Mutter fühlte er sich frei, seine Sehnsucht zu verwirklichen, nämlich dem Schöpfer der Welt und der glorreichen Jungfrau für den Rest seines Lebens in Zurückgezogenheit zu dienen. Er lernte den Servitenorden kennen und trat als 22-jähriger bei ihm ein. Täglich flehte er die selige Jungfrau an, sie möge ihn vor jeder schweren Sünde bewahren und seinen Geist von der Last des Fleisches befreien, ehe er sündigen sollte. Als Beichtvater wurde er sehr gefragt, sodass manche Mitbrüder neidisch wurden und ihm Vorwürfe machten, das Beichtehören als Tarnung für häufige Beziehungen mit den Leuten von außen - besonders mit den Frauen - auszunützen. Darum bat er unter Tränen vor dem Bild der glorreichen Jungfrau, sie möge mit ihm so verfügen, dass er bei den anderen keinen Anstoß mehr errege. Kurz darauf wurde er taub. Nachher zeigte er sich noch eifriger in den Übungen der Verehrung der Mutter Christi und lud auch andere ein, dasselbe zu tun. In dieser Weise strebte er danach, der Königin der Jungfrauen den Kranz aufs Haupt zu legen, von dem seine Mutter geträumt hatte, ehe er geboren war. Die Legende berichtet auch von einer Vision, die der Selige kurz vor seinem Tod erhalten haben soll: Er sah die glorreiche Jungfrau mit dem Jesuskind auf ihren Knien. Sie fragte es, womit man ihren treuen Diener belohnen könnte. Das Kind hielt es für gerecht, ihn, der seine Mutter so innigst liebt, in die ewige Glückseligkeit aufzunehmen, nicht zuletzt, weil die Liebe dieses Dieners Mariens durch die Tugend der Jungfräulichkeit bekräftigt wurde. Schließlich schildert die Legende, wie der selige Franz in seiner letzten Stunde vor das Bild der Jungfrau Rosen bringt, den Mariengruß spricht, zu Boden sinkt und stirbt.

Mit ihrer Darstellungsart erinnert diese Legende an einen nahezu romantischen Stil, sodass man hier von einer „romantischen Marienverehrung“ sprechen kann. In dieser Form werden gezielt konkrete erstrebenswerte Ideale vermittelt. Die Marienverehrung verbindet sich in dieser Legende mit der Tugend der Jungfräulichkeit, die in der Kirche von Anfang an als Ausdruck der exklusiven Hingabe an Gott verstanden wurde. Die Jungfräulichkeit wird deshalb auch in der Legende nicht als Selbstzweck und Ziel in sich gezeigt, sondern als begleitende Lebensform in der Nachfolge Christi. Ein Vorbild dieses Ideals ist für den seligen Franz von Siena die „Königin der Jungfrauen“ selbst, die Gott mit ungeteiltem Herzen diente. Sie bekräftigt in dem Seligen einerseits die Sehnsucht nach Vollkommenheit und ewiger Herrlichkeit, jedoch andererseits lässt sie ihn nicht vergessen, dass er hier auf Erden im Dienste seiner Nächsten steht. Ein Stück Lebenswirklichkeit zeigt die Legende in dem Punkt, wo die Rede von den neidischen Mitbrüdern ist. Obwohl einer ein rechtschaffenes und tugendhaftes Leben führt, bleiben ihm dennoch keine Scherereien mit den Mitmenschen erspart. Nachahmenswert ist hier die Weise, wie man sich solchen Konflikten stellen kann. Der selige Franz hat in diesem Fall nicht versucht, die neidischen Brüder von seiner Unschuld zu überzeugen, was wahrscheinlich ohnehin erfolglos geblieben wäre; vielmehr wandte er sich an sein geistliches Ideal - die glorreiche Jungfrau - und bat um die Gnade, sein Verhalten so zu verändern, dass die anderen, die schwach sind (vgl. 1Kor 8,8-13), seinetwegen nicht in Versuchung geführt werden.

fr. Fero M. Bachorík OSM